Beim Gehen

Der Weg oberhalb von dir. Der Weg, der oben durch führt. Du gehst. Eigentlich unten. Eigentlich unterhalb des Wegs. Du direkt unterhalb des Wegs und der Weg direkt über dir. Oberhalb von deinem Kopf. Du spürst ihn. Nicht mit den Füssen. Mit dem Kopf. Mit dem Scheitel. Der Weg führt oben entlang deinem Scheitel. Du gehst ihn. Gehst den Weg, aber unter ihm durch. Nicht gebeugt, aufrecht. Gehst aufrecht unter ihm durch und berührst ihn nicht. Die Füsse gehen, aber sie berühren ihn nicht, den Weg. Der Weg geht oberhalb von dir.

Text: Marie-Anne Lerjen
Mai 2012

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Walking now

The way above you. The way that leads above you. You walk. Actually below. Actually beneath the way. You, directly under the way, the way directly above you. You feel it. Not with the feet. With the head. Through the skull. The way leads above, along your skull. Your walk it. You walk the way, but underneath and trough it. Not bent over, but upright. You go along underneath but you don’t touch it. The feet move, but the way they don’t touch it. The way is above you.

This English Translation has been made on the third day’s walk of Sideways festival 2012 in Belgium with the help of Hilary Ramsden, assistant to the walking library project.

Walk by tasks

Tafel mit Aufschrift Geh
Foto: Marie-Anne Lerjen

Die TeilnehmerInnen bewegen sich in kleinen Gruppen durch den Stadtraum von Wolfenbüttel (D). Jeweils eine Person der Gruppe gibt eine Aufgabe vor: Erinnere dich an etwas aus deiner Kindheit. Achte auf Weggeworfenes. Suche Schlupflöcher. Bringe Dinge, die du findest, an neue Orte. An einem vereinbarten Treffpunkt tauschen sich die Personen über das Erlebte aus. Die gestellten Aufgaben fokussieren die Wahrnehmung und führen zu detailreichen Entdeckungen.

Konzept: Marie-Anne Lerjen, zusammen mit Anneliese Maass, Annegret Kulms und Carmen Tillmann
30. April 2009, Wolfenbüttel (D)
Im Rahmen des Kurses «Geh doch! Spaziergang als künstlerische Praxis», Bundesakademie Wolfenbüttel, Dozent: Bertram Weisshaar

Kognitive Karten

Wenn wir uns in unserer räumlichen Umwelt bewegen, sammeln wir – bewusst und unbewusst – Informationen über diese. Diese Informationen werden in eine räumliche Vorstellung, in eine «kognitive Karte» übersetzt. Im Prozess des «kognitiven Kartierens» wird die Vorstellung stetig ergänzt und verfeinert. Markante Orte und herausragende Gebäude sind Schlüsselpunkte. Der Streckenplan der persönlich zurückgelegten Wege wird aufgrund von Erfahrung zu einem räumlichen Bezugsnetz verknüpft. Die Abbildung, die im Kopf entsteht, hat eine persönliche Ausprägung (je nachdem, welche Wege man häufig geht) und weist Verzerrungen und weisse Flecken auf. Die «kognitiven Karten» sind die Grundlage der Orientierung im Raum. Mit ihrer Hilfe lokalisieren wir unser Ziel und entscheiden, welchen Weg wir wählen. Auf dem Weg zum Ziel wird die Umwelt immer wieder gelesen und überprüft, ob man sich noch auf dem richtigen Weg befindet. Die Art der Fortbewegung hat einen grossen Einfluss auf das entstehende Bild. Den direktesten Kontakt mit der Umwelt bietet das Gehen. Hier kann die räumliche Abfolge und die Geschwindigkeit einer Erfahrung aktiv gesteuert werden. So entstehen sehr differenzierte «Karten».

Vgl.: Peter G. Richter (Hg.), Architekturpsychologie, Lengerich 2004

Wahrnehmung ist ein aktiver Prozess

Wahrnehmung ist ein aktiver Prozess. Der menschliche Körper filtert, speichert und verarbeitet die Reize, die durch seine Sinne von der Umwelt aufgenommen werden. Bewegung spielt dabei eine wichtige Rolle. Durch die Bewegung des menschlichen Körpers im Raum sind neue Perspektiven möglich und der Radius der Erkundung kann erweitert werden. Durch bewusste Aufmerksamkeit kann der Mensch die Wahrnehmung eines Ortes oder einer Situation steigern.